This entry is part 4 of 6 in the series Michael Pierce präsentiert

Über diesen Link findest du das Video von Michael Pierce. Für alle, die des Englischen nicht (ausreichend) mächtig sind, habe ich nachstehende Übersetzung des gesprochenen Wortes gefertigt:

Zum leichteren Verständnis des Videos und der Übersetzung ein Exkurs:

Funktionen des INTJs:          Abkürzung
1. introvertierte Intuition             Ni
2. extravertiertes Denken            Te
3. introvertiertes Fühlen              Fi
4. extravertiertes Empfinden      Se

INTJ – präsentiert von Michael Pierce

(übersetzt von Sascha Faber)

David Keirsey hat ihnen den Spitznamen „Mastermind“ gegeben, und die meisten INTJs haben keine Aversion gegen diese Bezeichnung. Ich habe auch den weniger verbreiteten Namen „Wissenschaftler“ gehört. Das Klischee, das sich hinter diesen Spitznamen verbirgt, ist das eines besonders logischen Individuums, leidenschaftslos, wissenschaftlich und selbstgefällig atheistisch, hervorragend, selbstsicher, visionär, entschlossen, und darüber hinaus in der Lage, alle Teile eines komplexen Systems zu erfassen und die vollendete Strategie zu entwickeln, um das Spiel zu gewinnen.

Wer sich einen INTJ vorstellt, stellt sich eine Mischung zwischen Dr. Gregory House und Sherlock Holmes aus der BBC-Verfilmung vor. Wie beim INFJ ist das Klischee von einem INTJ zu umfassend, um wirklich das zu bezeichnen, was einen INTJ ausmacht.

Viele Merkmale, die dem INTJ zugerechnet wurden, wären besser geeignet, den ISTJ zu beschreiben; und viele Merkmale, die für den INTJ bezeichnend wären, sind völlig übergangen worden. Der INTJ ist nicht wissenschaftlich oder gar logisch auf die Art, wie dies normalerweise definiert wird, und seinem Temperament nach tritt er im Allgemeinen eher wie ein Prophet oder Hexenmeister und nicht wie ein analytischer Mastermind auf. Letzteren Titel verdient vielmehr der ISTJ. Hingegen sollte der INTJ meiner Meinung nach eher als intuitiver Mastermind bezeichnet werden.

Lasst uns einen Blick auf die Funktionen des INTJs werfen.

Sie sind urteilende Typen (in der Außenwelt). Dies bedeutet, dass sie das extravertierte Urteilen und das introvertierte Wahrnehmen bevorzugen . Entsprechend beruhen ihre Urteilskriterien auf objektiven Informationen von außen, während sie subjektive Informationen und Erfahrungen betrachten und aufnehmen. Man könnte sagen, sie treten ihrer Außenwelt gegenüber aggressiver auf und sind ihren inneren Erfahrungen gegenüber aufgeschlossener.

Ihre bevorzugten Methoden hierfür sind das extravertierte Denken (Te) und die introvertierte Intuition (Ni).
Extravertiertes Denken ist induktiv. Es stützt seine Schlussfolgerungen auf objektive Tatsachen, die es aggressiv zu erreichen sucht. Währenddessen ist die introvertierte Intuition reflektierend, insoweit als das sie kein wahres Interesse hat, außer die Möglichkeiten einer Idee im Geiste wahrzunehmen und daraus zwingende und ansprechende intellektuelle Vorstellungen, Theorien und Erkenntnisse zu formen.

Drittens ähneln INTJs den ENTJs. Beide bevorzugen Te und Ni. INTJs bevorzugt Ni jedoch mehr als Te. Nichtsdestotrotz sind sie in gewisser Weise gleiche Typen oder zumindest Geschwistertypen.
Ich persönlich nenne die NTJ-Typen gerne die „Wegbereiter“, da sie fesselnde Ideen entwickeln und Einsichten über die Welt erlangen und sodann versuchen diese Visionen mit geringem Aufwand wirksam umzusetzen.
Selbstverständlich ist der Begriff „Wegbereiter“ nur ein Spitzname, der mir hilft, mich an die Natur des NTJs zu erinnern.  Er bedeutet nicht, dass NTJs notwendigerweise erfinderischer oder ihrer Zeit weiter voraus sind als andere Persönlichkeiten oder mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Karriere wählen, die ihnen dies ermöglicht.

Der INTJ nun ist ein “Wegbereiter”, dem seine subjektiven Wahrnehmungen und Träumereien wichtiger und interessanter sind als objektive Tatsachen und die daraus folgenden Schlüsse. Er ist hauptsächlich damit befasst, Möglichkeiten, die sich aus inneren Ideen ergeben, wahrzunehmen und dabei zu ansprechenden, fesselnden, intellektuellen Einsichten zu gelangen.

Das Wort, das ich verwende, um die Natur des INTJs zu beschreiben ist „visionär“. Daraus leiten sich die zwei wichtigsten Eigenschaften der INTJ-Persönlichkeit ab: Futurismus und Machtwille.

Unter Futurismus verstehe ich, dass der INTJ Pläne schmiedet, um die Möglichkeiten zu ergreifen, die die Zukunft bietet. Wohingegen der ISTJ Pläne aufstellt, um sich gegen unangenehme zukünftige Entwicklungen zu wappnen.
Das ist ein Unterschied zwischen introvertiertem Empfinden (Si )und extravertierter Intuition(Ne). Si bereitet sich übermäßig vor, wohingegen Ni eher zu wenige Vorbereitungen trifft. Die Natur der Intuition bewegt den INTJ dazu, unheimlich sprunghafte Gedanken und Vorstellungen zu entwickeln. Hierdurch erscheint er mit seinen Erkenntnissen manchmal seiner Zeit voraus. Was er an Einsichten gewinnt, verliert er jedoch an Gründlichkeit.
Siehe zum Beispiel Isaac Newton und Nikola Tesla: Beiden gelangen außerordentliche Sprünge in ihren Wissenschaften und sie standen im Ruf, Zauberer zu sein. Diese Sprünge übergingen jedoch eine Menge Zwischenschritte und hinterließen den Eindruck wilder Entschlossenheit und unmenschlichen Fokus auf ihre Arbeit bis zu dem Punkt, dass Organisation und wichtige Einzelheiten unbedeutend erschienen, verglichen mit der Erreichung ihres Zieles.
Isaac Newtons revolutionäre Entwicklung des Kalküls (Infinitesimalrechnung) war nur ein Mittel zum Zweck. Es tut was es soll, aber es hat eine gewisse ungeschliffene, überstürzte Schludrigkeit an sich. Ein weiteres Beispiel ist der explosionsartige Anstieg von Experimenten und Erfindungen, veranlasst durch Nikola Tesla. Für einige von ihnen nahm er sich nicht einmal die Zeit, diese aufzuschreiben, da sie einfach nur Kuriositäten waren, die er auf dem Weg zu einem anderen Ziel entdeckte.
In gewisser Weise entsteht der Eindruck eines Tunnelblicks und Fokussierung im INTJ, mit dem der Pfad in die Zukunft freigelegt wird, der jedoch wahnsinnig ungenau sein kann und eine Menge Geröll zurücklässt.

Kurzum: Das Ni des INTJs stellt die futuristische, intuitive Vision bereit, und das Te gewährt den intensiven Fokus, mit dem die Vision erreicht werden kann. Da die Vision aber nahe am Horizont ist, schaut der INTJ nicht immer nach unten, um zu sehen, wo er hintritt.
Entgegen dem ENTJ, der hauptsächlich am induktiven Denken und Ermitteln logischer Widersprüche interessiert ist, ist dies nicht das Augenmerk des INTJs. Der INTJ, wie der INFJ, ist zu allererst ein interner Wahrnehmender, der Eingebungen bekommt oder Visionen hat, wie die Welt wirklich funktioniert. Logik dient nur als untergeordnetes Werkzeug, um diese Vision oder Idee zu erreichen, die jedoch nicht mit der Realität vereinbar zu sein braucht. Den INTJ umgibt, ebenso wie den INFJ, eine intuitiv mystische Aura. John Maynard Keynes sagte über Isaac Newton: „Er war nicht der Erste des Zeitalters der Aufklärung sondern der letzte der Magier.“ Vergleichbar äußerte sich John Stone zu Nikola Tesla: „Wir müssen zugeben, das Nikola Tesla ein Prophet war im Gegensatz zu einem Wissenschaftler.“

Der Machtwille des INTJs leitet sich aus der nicht unterdrückten Te/Fi- Achse ab. Extravertiertes Denken (Te) ist dominanter, aber introvertiertes Fühlen (Fi) wird nicht unterdrückt und spielt eine wichtige Rolle in der Persönlichkeit des INTJs. Te ist das Gegenstück zu Fi, wobei Te der Panzer ist und Fi der Demonstrant, der sich davor legt. Te passt sich den Tatsachen an, Fi klammert sich fest an die von Gefühlen abgeleiteten Prinzipien. Demzufolge sind die Gefühle des INTJ subjektiv und schrecken vor dem Objekt zurück, um sich tief in Innere des Subjekts zurück zu ziehen, wo sie heftig brennen.

Fi stattet den INTJ mit verschiedenen interessanten Eigenschaften aus: Es gewährt ihm die typische Fi- Tendenz, sich vor fremden Gefühlsbekundungen (von außen) zurückzuziehen. Die Leidenschaften und Werte des INTJs gehören ihm ganz allein, und der INTJ will sich hier nicht den Vorstellungen anderer Leute unterordnen. Dies macht den INTJ sehr unabhängig und selbstsicher, er ist sogar berüchtigt dafür. Der INTJ genießt den Ruf, ein Visionär zu sein, der für sich im Alleingang kühn die Welt umgestaltet trotz des Widerstandes und der Ignoranz seiner Mitmenschen.

Während der INFJ versucht andere anzuspornen, ihm zu folgen, bedarf der INTJ keiner Anhänger. Wenn er diese braucht, so lenkt er nicht sein Hauptaugenmerk hierauf. Dem INTJ ist es egal, was andere über seine Vision denken. Wichtig für ihn ist die Erfüllung seiner Vision im Einklang mit seinem Entwurf.

Der INTJ steht im Verruf unsozial zu sein, da er aufgrund seines introvertierten Fühlens seine Gefühle nur beschränkt ausdrückt. Er hat keine Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen, aber er empfindet auch kein unmittelbares Bedürfnis nach ihnen, abgesehen von jenen, die er bereits ins Herz geschlossen hat. Wie der ISTJ liebt der INTJ diejenigen, die er liebt, wirklich; und ich selber habe diese sehr aufrichtige Liebe und Freundschaft seitens verschiedener INTJs ebenso wie die von ISTJs in meinem Leben genossen. Was ihnen an äußerem Ausdruck fehlt, kompensieren sie durch eine einnehmende wahre Liebe.

Es sollte nicht verschwiegen werden, dass diese Eigenschaften – Unabhängigkeit, Machtwille und unsoziales Wesen – das scheußliche Rezept für akuten Narzissmus sein können – ein Problem mit dem INTJs gelegentlich zu kämpfen haben.
Der INTJ fürchtet sich eher weniger als andere Persönlichkeiten davor, narzisstisch zu werden und mag oft Dinge sagen oder tun, die narzisstisch erscheinen aber tatsächlich nur die Art des INTJs sind, Tatsachen mitzuteilen. Beispielsweise die Erklärung von Nikola Tesla, wie er die Vereinigten Staaten revolutioniert habe, was tatsächlich auch der Fall war. Aber abgesehen von den Fakten sollten sich INTJs bewusst sein, wie nah sie sich am Abgrund zum Narzissmus bewegen.

Ebenso wie der INFJ unterdrückt der INTJ sein extravertiertes Empfinden, was zu ähnlichen Problemen und Einschränkungen führt. Die Wahrnehmung des INTJs von der wirklichen Welt ist daher unzuverlässig. Er ist so darauf konzentriert, was sein könnte, dass es ihm einige Mühe kostet, sich auf das zu konzentrieren, was schon vorhanden ist. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der INTJ bei der Erzeugung seiner Vision oft größere Mengen an Fakten verpasst oder ignoriert und sich immer wieder von der Realität entfernt, bevor er es schafft, die gesamten Beweise zu sichten. Dies ist ein Fehler, den der ISTJ kaum macht.
Dies ist ein weiterer Grund, warum der INTJ nicht als logisch oder wissenschaftlich im herkömmlichen Sinne betrachtet werden sollte, denn seine Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf die Logik und die Tatsachen sondern auf die Ideen und Visionen einer möglichen Zukunft, die selbst wenn sie logisch erscheinen, sich sehr oft selbst widersprechen und paradox sein können.
Der INTJ kann leidenschaftlich an Ideen und Theorien festhalten, denen keine tatsächlichen Beweise zugrunde liegen. Siehe zum Beispiel Friedrich Nietzsches angeblich logisches Konzept der ewigen Wiederkunft, das eine wunderschöne und fesselnde Idee darstellt, die logisch begründet erscheint, jedoch nicht auf irgendwelchen konkreten Tatsachen oder Beobachtungen beruht und viele nicht belegte Mutmaßungen anstellt, die sowohl an der induktiven als auch der deduktiven Gültigkeit zweifeln lassen.
Die Vorstellung von der ewigen Wiederkunft ist genau dies: eine wunderschöne Vorstellung. An diesem Beispiel zeigt sich, dass das Te des INTJs zu einer reinen Illusion verkommt, die keinerlei Halt bietet.

Eine weitere Auswirkung des unterdrückten extravertierten Empfindens (Se) ist die überwältigende Intensität mit der ein Ni-dominanter Typ darauf trifft. Da er selten mit Se in Berührung kommt, erfährt er die Begegnungen mit Se zumeist als unbeschreiblich lebhaft. Oft hat er mit den Auswirkungen seiner Einstellung zu sinnlichen Genüssen wie Essen, Nervenkitzel, Sex oder ähnlichem zu kämpfen. Während der INFJ eine gewisse moralisch bedingte Abneigung solchen Gelüsten gegenüber entwickelt, die an einen asketischen Mönch erinnert, scheint der INTJ weniger sanft und mystisch in dieser Hinsicht. Sein Asketismus ist zumeist das unmittelbare Resultat seines Tunnelblicks, Elans und des Umstandes, dass er mit seiner Arbeit verheiratet ist.

Der INFJ erscheint wie ein Mystiker, der versucht seine menschlichen Bedürfnisse zu überwinden, während der INTJ eher wie ein Unmensch wirkt, der in einem menschlichen Körper gefangen ist und daher von Anfang an keine menschlichen Bedürfnisse hat.
Hiervon sollte man sich jedoch nicht eine Sekunde täuschen lassen: Der INTJ hat solche Bedürfnisse, und er ist fähig, von einem Extrem zum anderen zu schwingen. INTJs sind berüchtigt für periodisch wiederkehrende sinnliche Exzesse, in denen sie sich chronisch der Völlerei verschiedenster Genüsse hingeben – deutlich über das Maß anderer Menschen hinausgehend. Ein Beispiel hierfür ist die Aussage von Jean Paul Satre, dass er während der Arbeiten an einem Buch begann, Amphetamine einzunehmen und am Ende seiner Arbeit beinahe zwanzig Pillen am Tag schluckte. Das andere Extrem wäre Nikola Tesla, der, wie berichtet, sein ganzes Leben zölibatär lebte, trotz seiner Beliebtheit bei den Damen.

In der Zusammenfassung ergibt sich: Der INTJ ist visionär, hartnäckig und hastig danach strebend, seine zukunftsorientierte Vision zu erfüllen. Er spielt das Leben wie ein Schachspiel, das von ihm verlangt, dass er die Überlegenheit über seine Umwelt durch ein besseres Verständnis erlangt. Er ist sehr unabhängig, selbstsicher und unsozial, hält jedoch an bestimmten Werten und Vorstellungen tief in seinem Herzen fest. Indem er das extravertierte Empfinden (Se) unterdrückt, entsteht eine gewisse Abkoppelung von der Wirklichkeit und eine Empfänglichkeit für sinnliche Exzesse.

Vielen Dank fürs Lesen/Zuhören; und an alle INTJs da draußen: Danke, für eure Versuche, uns eine Schneise in die unbekannte aber wunderschöne Zukunft zu hauen.

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